Mittwoch, 23. Oktober 2013

Aikidō-Club: Besuch vom Sensei

Nach rund 3 Wochen Training folgt hier nun ein weiterer Erfahrungsbericht.

Vorab eine kleine Korrektur meines letzten Aikidō-Eintrags: Wenn in der Gruppe gewechselt wird, sagt man tatsächlich nur "Wir wechseln!" und alle bedanken sich dann dafür. Meine erste Deutung war zwar etwas poetischer, aber so ist das, wenn es in einer Sprache viele gleichklingende Worte gibt. Man ist vor solchen Fehlinterpretationen echt nicht geschützt, vor allem, wenn man sich so förmlich für alles bedankt.

Allgemeines zum Trainingsaufbau

Ich möchte hier noch einmal versuchen, einige Details des Trainingsbeginns zu rekonstruieren bzw. zu ergänzen.

Zu Trainingsbeginn ruft der Trainingsleiter zum Anfang. Der Traininsgleiter ist bei uns einer von etwa 5 oder 6 Dan-Trägern, die sich regelmäßig mit der Leitung abwechseln. Es gibt bei uns auch deutlich mehr Dan-Träger, allerdings sind von den 5 oder 6 genannten alle regelmäßig dabei und auch pünktlich zu Trainingsbeginn da. Des Weiteren sind die Trainingsleiter nicht älter als 25. Wenn ein etwas erfahrenerer und folglich ranghöherer Aikidōka anwesend ist, dann übernimmt er nicht automatisch die Leitung des Trainings. Tatsächlich lag diese Verantwortung bisher immer bei den wenigen regulären Trainingsleitern.

Wenn der Leiter zum Anfang ruft, dann knieen sich alle zunächst auf dem Holzboden vor den Tatami ab. Die Reihenfolge ist dabei geordnet: in der ersten Reihe hauptsächlich Dan-Träger und andere ranghohe Clubmitglieder, in der zweiten Reihe die übrigen Kōhai und, falls ein noch ranghöherer Aikidōka dabei ist, wie z.B. jemand, der in der Rangfolge nur wenige Plätze unter dem Sensei ist, sitzt dieser in der dritten Reihe.

Der Leiter betritt nun die Matte, erlaubt dem Rest, die Matte zu betreten, woraufhin sich alle verneigen und in der selben Formation am Mattenrand abknieen. Dann verneigt man sich erneut zweimal: einmal zur Begrüßung und einmal für den Beginn des Trainings. Nun wird jemand, i.d.R. einer der Kōhai, dazu aufgefordert, die Aufwärmübung zu leiten. Dafür kommt die ernannte Person nach ganz vorne, während der Trainingsleiter zum gegenüberliegenden Mattenende geht. Die Aufwärmübungen sind bei jedem Training exakt dieselben, auch immer in der gleichen Reihenfolge. Sobald die Aufwärmübungen vorbei sind, teilt der Verantwortliche das mit, worauf sich alle im Raum verneigen. Anschließend verneigen sich nochmals Trainingsleiter und Übungsleiter, womit wird auch den Grund der Sitzplatzwahl hätten.

Nach dem Aufwärmen geht es dann immer mit 4 Bahnen Fallschule vorwärts, 2 Bahnen Fallschule rückwärts und 4 bis 6 Bahnen Kniegang weiter, welchen ich letztes Mal als Krabbengang beschrieben habe. Wenn das abgeschlossen ist, gehen alle wieder zurück auf ihre Sitzplätze vom Anfang und das eigentliche Training beginnt.

Besuch von Manoro-Sensei

Als ich die ersten Male zum Aikidō gegangen bin, fragte ich, wann denn der Sensei käme. Nun weiß ich, dass der Club ursprünglich von Studenten ohne einen Sensei gegründet wurde und dass daher auch die komplette Trainings- und Organisationsverantwortung von den Studenten getragen wird. Vergangenes Wochenende kam dann tatsächlich ein Sensei aus Tōkyō, jedoch lediglich zu Besuch und natürlich, um an diesem Wochenende das Training selbst zu leiten. Dieses Event ist für den Club so bedeutsam gewesen, dass nach japanischer Etikette alle Register gezogen wurden, damit der Tag so reibungslos wie möglich abläuft. Das bedeutet konkret, dass am Trainingstag vor Manoro-Senseis (japanische Lesart seines Namens) Ankunft die Sporthalle komplett gereinigt wurde, es wurde also nicht nur wie üblich gefegt sondern es wurden auch die Wände, Fenster, Badezimmer, Tatami und Böden gewischt, das Trainingsgerät aus der Abstellkammer  in die Halle gebracht, die Abstellkammer zum Sensei-Zimmer umfunktioniert, indem Tatami und Tee-Service bereitgestllt wurden und die Herrenumkleide wurde zum Umkleidezimmer der übrigen Begleitung aus Tōkyō, wohingegen die alte Herrenumkleide in ein weiteres Abstellzimmer außerhalb der Haupthalle verlegt wurde. Natürlich ließen wir es uns nach dem Großputz dann nicht nehmen, trotzdem wenigstens eine Stunde noch zu trainieren.

Am nächsten Tag trafen wir uns dann um 11 Uhr morgens, um den Sensei um 12:30 Uhr zu erwarten. Es war erneut Hallefegen angesagt gefolgt von einem kleinen Aufwärmtraining. Der Sensei wurde in der Zeit von wichtigen Clubmitgliedern mit einem Auto vom Hauptbahnhof abgeholt, natürlich waren alle auch in westlichen Anzügen gekleidet. Wir Kōhai begaben uns kurz vor seiner Ankunft an der Sporthalle, die glücklicherweise über SMS angekündigt wurde, im Kniesitz auf die Matte, um uns bei seinem Gang durch die Halle in sein hergerichtetes Zimmer vor ihm zu verneigen. Die Dan-Träger, die nicht zur Eskortgruppe gehörten und bereits umgezogen waren, begrüßten ihn im Eingangsbereich. Als sich der Sensei in der Halle zeigte, war ich sehr überrascht, einen Amerikaner zu sehen, denn von der Vorbereitung zu urteilen, hatte ich eher einen traditionellen älteren Japaner erwartet. Auch bin ich mir sicher, kurz einen überraschten Ausdruck in seinen Augen erhascht zu haben, als er zu mir herüber sah...

Das Training dauerte von 13 bis 17 Uhr. Das hieß einerseits eine Menge Zeit, um viele Techniken zu lernen, aber andererseits auch, alle 5 Minuten abknieen zu müssen, und das ging tierisch in die Beine. Etwa ab einer Stunde vor Ende fing dann die japanische Etikette an, zur Qual zu werden, was zum Ende des Trainings nochmal durch minutenlanges meditatives Abschiedskniesitzen und natürlich das Wiederholen des Prozederes von der Ankunft des Sensei zum Abschied verschlimmert wurde. Hier zeigt sich im Übrigen ein großer Nachteil der japanischen Etikette. Dadurch, dass das komplette Geschehen derart vorbestimmt war und jeder seinen festen Platz hatte, war es mir unmöglich, ein paar Worte mit dem Sensei zu wechseln. Er war tatsächlich nur während des eigentlichen Trainings erreichbar, allerdings ist das ja ein denkbar schlechter Zeitraum für Smalltalk. Dort zeigte er aber mit Äußerungen wie "Aikidō is a sport for lazy people" sehr symphatisch. ;-) Wenn er mir nicht gerade etwas erklärte, dann sprach er grundsätzlich nur auf Japanisch. Bei Trainingsende stellte er sich daher noch kurz auf Japanisch vor, wovon ich entnehmen konnte, dass er ursprünglich aus Kalifornien kommt und nun in Tōkyō lebt. Meine Aikidō-Kollegen erzählten mir einige Tage später, dass er den 2. Dan hat.

Im Training wurde zwei Stunden lang unbewaffnet und zwei Stunden lang mit Stäben trainiert. Von den unbewaffneten Techniken waren die für mich interessantesten diejenigen, die aus dem Kniesitz (da haben wir es wieder) ausgeführt wurden. Dazu gehörten beispielsweise Ude-Osae und Irimi-Nage, hauptsächlich mit dem Angriff Shōmen-Uchi. Auch das seitliche Fallen aus dem Kniestand wurde geübt. Bei den Stabtechniken gab es diverse Würfe, aber auch Schlagabtäusche, mit denen bestimmte Entwaffnungstechniken geübt wurden. Beispielsweise wurde nach einem Block der eigene Stab so um den des Gegners gefädelt, dass man in den Kniesitz gehen und von dort aus den Gegner in den Fall zwingen konnte.

Natürlich sind solche Technikbeschreibungen sowohl sehr mühsam zu schreiben als auch zu lesen, weshalb die ganze Veranstaltung auch gefilmt wurde. Ich werde versuchen, die Aufnahmen in meine Finger zu bekommen, um euch einen besseren Eindruck von dem Tag geben zu können. Im Übrigen hätte auch Sonntag von 7:15 Uhr bis 12 Uhr ein Training mit Manoro-Sensei stattgefunden. Da ich aber von dem ganzen Abknien meine Beine kaum noch spüren konnte, entschied ich mich dazu, mich auszuruhen.

4 Kommentare:

  1. Wenn du wieder im Land bist besorg ich mir ne Waffe oder n dressierten Kampfbären oder so, du wirst mir zu gefährlich! Kommst du bei soviel Aikidō überhaupt zum klettern? Ach ich wills gar nicht wissen, lass mir wenigstens die eine Sache, wenn die dafür auch n Klub haben muss ich mir n neues Hobby suchen T_T

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    1. Ich komm grad nicht wirklich zum Klettern, also keine Sorge. ;) Wenn ich nicht bald anfangen würde, zu reisen, wäre das sicherlich etwas, wofür ich am WE etwas Zeit hätte.

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  2. Herzlichen Dank für deinen 2. Bericht. Mach mal so weiter, dann kannst du ja ein Buch herausbringen. Der Bericht war sehr interessant. Man kann sich das sehr gut vorstellen. Ist doch schön, dass wir kaum auf den Knien herumrutschen. Das ist aber bedingt durch meine Knieprobleme. Was nützt Dir die Knietechnik, wenn man als Europäer später Athrose hast. Wir sind halt keine Asiaten.

    Viele Grüße
    Jürgen

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